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HERBSTANFANG

Gott,

Ich beginne stets von vorn.

 

Stets ein Neubeginn.

Stets das was zurückliegt, soll ich «vergessen».

Mich nach vorn strecken, wie Paulus den Philippern sagt.
(Philipper 3, 13)

Wie meine Eltern und die Sektenprediger mir sagten.

 

Heute ist Montag.

Herbstanfang.

Eine Kindheit liegt weit hinter mir.

Da ich nicht Kind sein durfte.

Vergessen habe ich sie nicht.

 

Auch die erste Hälfte meines Erwachsenenlebens ist hinter mir.

Ich habe viel unternommen.

Ich habe viel gelernt.

Ich habe das Leben beobachtet, analysiert.

Aber gelebt habe ich es nicht. Nicht mein Leben.

 

Was ich geplant habe,

was ich entworfen habe,

was ich begonnen habe,

wo ich auf Menschen zugegangen bin:

Es blieb bei der Episode.

 

Was ich auch tat:

die Menschen, die Gesellschaft, die Wirtschaft, der Staat, die Kirche stemmen sich mir entgegen.

Legten mir Steine in den Weg.

Den ich sowieso aus eigener Kraft gehe. Gehen muss.

Denn es ist niemand da, die oder der mit mir ginge.

 

Ich vergesse nicht,

will nicht vergessen.

Ich habe Ressourcen,

will sie formen zu einer Geschichte, meiner Geschichte.

In der zweiten Hälfte meines Erwachsenenlebens.

 

Gott,

Ich bin Theologin, du scheinst mich berufen zu haben.

Hilfe brauche ich nicht. Erlösung reicht mir.

Misshandlung, Not, Verfolgung und Bedrängnis leidet man heute nicht mehr um Christi willen.
(2. Korinther 12, 8-10)

Sondern um des Geldes und der Macht willen.

Sondern darum, weil man Frau ist, klug, im reifen Alter, Schweizerin ohne Migrationshintergrund.

 

Du scheinst zuzuschauen.

Du scheinst zu erwarten,

dass die Menschen selber Erlösung schaffen.

Dass sie sich zusammenraufen:

«Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.»

 

Ich bin bereit,

ich bin bereit, nochmals Pionierin zu werden.

Ich weiss nicht, was es mit deiner Gnade auf sich haben soll.

Aber ich will nicht schwach gemacht werden.

Fremdbestimmt von den Menschen.

 

Gott,

ich will mein Leben leben.

Von dem gesagt wird, du hättest es mir geschenkt.

Amen


Sekte: Neuapostolische Kirche

 

Brief des Paulus an die Philipper: 13 Liebe Brüder und Schwestern, ich bilde mir nicht ein, dass ich selbst es ergriffen hätte, eins aber tue ich: Was zurückliegt, vergesse ich und strecke mich aus nach dem, was vor mir liegt. (Philipper 3, 13)

 

Zweiter Korintherbrief: 8 Seinetwegen habe ich den Herrn dreimal gebeten, er möge von mir ablassen. 9 Und er hat mir gesagt: Du hast genug an meiner Gnade, denn die Kraft findet ihre Vollendung am Ort der Schwachheit. So rühme ich mich lieber meiner Schwachheit, damit die Kraft Christi bei mir Wohnung nehme. 10 Darum freue ich mich über alle Schwachheit, über Misshandlung, Not, Verfolgung und Bedrängnis, um Christi willen. Denn wenn ich schwach bin, dann bin ich stark. (2. Korinther 12, 8-10)

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